"In meinen Gedanken war ich krank"

Die Themenreihe "Trans* - Diskriminierung und Gewalt" beschäftigte sich im Jahr 2016 in vier Interviews mit persönlichen Gewalterfahrungen sowie alltäglichen Erfahrungen von Diskriminierungen. Die interviewten Personen kommen aus Cottbus, Potsdam und Brandenburg. Die Interviews wurden im Rahmen eines Praxissemesters der Fachhochschule Potsdam durchgeführt. Die Interviews wurden mündlich geführt, später transkribiert und für diese Internetseite leicht zusammengefasst und redaktionell bearbeitet. Im Originalinterview werden durch die interviewten Personen teilweise vulgäre sowie gruppenbezogene Beleidigungen als Stilmittel in der Sprache verwendet. Diese Textstellen haben wir entsprechend (*) kenntlich gemacht. Es wurde darauf geachtet, trotzdem die Emotionalität und Authentizität der Erfahrungen beizubehalten. Wer wissenschaftliches Interesse an dem original transkribierten Text hat, kann diesen per E-Mail bei der LKS qu. Brandenburg anfragen.

Schwerpunkte

  • transphobes und gewaltsames Elternhaus
  • Verlust der Beziehung zur Schwester
  • akzeptierende Großeltern
  • Transphobie im Netz/ Online-Gemeinschaften
  • Passing und Wahrnehmung von außen
  • Transition und Unileben
  • Umgang mit ständigen Fragen
  • Mobbing und Toleranz in Schulzeiten (ungeoutet)
  • Selbstwahrnehmung als "Krankheit"
  • Erkenntnis über Beratungsstelle
  • schlechte Beziehungserfahrung
  • persönliches Empfinden zur Notwendigkeit von Operationen
  • Körperbehaarung
  • Kostenübernahmen
  • Zeitaufwand und Komplikationen der Bürokratie
  • mangelndes Wissen/Sensibilisierung im Medizinischen Dienst von Krankenkassen

Interview und Transkription: Anne Mense (Fachhochschule Potsdam, 2016)
Redaktionelle Bearbeitung: Maria Sievers (queer factory)

 

Welche Diskriminierungen, Gewalt, Herabwürdigung deiner Person war für dich der schockierendste Moment?


IP:
Das war von meinen Eltern aus. Ich war Rasen mähen beim Nachbarn und als ich rüber kam, den Rasenmäher weggestellt habe, kam meine Mutter nach Hause und guckte mich richtig herablassend an:

„Ah, wie siehst denn du aus?“. Und dann sage ich zu ihr: „Ja, ich weiß, mein Make Up ist mir noch nicht ganz gelungen, so.“ „Scheiße siehste aus!“, hat sie zu mir gesagt. Das fand ich schon ziemlich heftig. Dann hat sie auch angefangen mir zu erklären, dass ich ja meine Verpflichtungen gegenüber den Nachbarn nicht erfüllt habe, weil ihr Sohn die Verpflichtung eingegangen ist. Und da ich das jetzt gemacht habe, wäre die Verpflichtung nicht erfüllt.


Warst du da schon mitten in der Transition?


IP:
Das war vor zwei Jahren. Da hab ich grad angefangen. Also August zwanzig vierzehn habe ich mich mehr oder weniger geoutet. Nachdem ich das gemacht habe, wurde mir von meinem Eltern erklärt, ich versaue mein ganzes Leben, meine Freunde werden sich von mir abwenden, ich werde mein Studium abbrechen, ich werde meine Arbeit verlieren und auf der Straße landen und ich kann dann als Zirkus-Freak leben.


Wie ist denn das Verhältnis zu deinen Eltern jetzt?


IP:
Der letzte Stand ist, ich bin jeder Zeit willkommen bei ihnen, so lange ich so komme, wie sie mich kennen. Sprich ICH bin also nicht bei ihnen willkommen. Sie wollen mich da nicht sehen. Das war schlimm, aber von denen hab ich's erwartet, mehr oder weniger. Also wie ich erzogen wurde, total intolerant. Eine Familie muss aus Mann und Frau bestehen. Richtig homophob. Ausländerfeindlich sowieso. Am besten bis vierundzwanzig muss man Kinder haben, dann muss man anfangen ein Haus zu bauen und ein Baum zu pflanzen. Das ist die Art und Weise wie jeder zu leben hat, alle die das nicht tun, sind in ihrem Bild nicht akzeptabel. Das heißt auch ihre eigene Geschwister, mit denen haben sie auch den Kontakt abgebrochen, mit ihren eigenen Eltern. Die haben sich komplett abgeschottet von allen. Meine Mutter hat keine Freunde. Mein Vater hat einen aus der Schulzeit. Und so wurde ich halt groß gezogen. Ähm, mit so Sprüchen wie „ Boar Schwule, das geht ja überhaupt gar nicht, wie peinlich ist denn das“ oder „Wieso wollen denn Schwule ne Familie haben? Das ist doch keine Familie!“ und „Homosexuelle können doch keine Familienpolitik machen. Die wissen doch gar nicht was das ist.“ Und also, es war zu erwarten. Was ganz krass war, was ich nicht erwartet hab, war meine Schwester, die mir ganz böse in den Rücken gefallen ist. Erst hat sie gesagt, ja, sie würde auch mitkommen zur Beratung und zum Stammtisch etc. und dann hab ich mich vor meinen Eltern geoutet. Bei ihr hab ich es zuerst gesagt und das nächste Mal, als wir dann alle zusammen waren, beim Grillen, dann fing sie genau so an. Ja, es geht ja nicht und ihre Freunde, die sind ja in so Kreisen, das sind ja alles Studierte. Das geht ja gar nicht. Das ist ja total peinlich für sie und ich werd ja auf der Straße landen und mein Studium abbrechen. Ja, sie hat genau den gleichen Mist wiedergekäut. Und dann sag ich so im Anschluss zu ihr: „Du stehst zu mir. Du kommst mit. Du unterstützt mich“. „Ja, nee, ich hab mir das anders überlegt und, aber egal was ist ich akzeptier deine Entscheidung.“. Und dann hab ich sie wieder gesehen, beim nächsten Mal, und sie hat mich wie Dreck behandelt. Also sie hat mich von oben herab angeguckt und gesagt: „Das sieht doch jeder.“ und hat mich mutwillig mit meinem falschen Namen, also mit den alten Namen angesprochen, was halt richtig weh tut. Sie hat meine Freunde beleidigt. Worauf ich erwidert habe, meine Freunde halten zu mir und denen habe ich es gesagt, selbst Oma und Opa können das akzeptieren. „Ja, die haben dich ja noch nicht so gesehen. Wenn Opa dich so sieht, kriegt er ein Herzinfarkt.“ Also richtig von oben herab. Und ich hatte ihr sogar Geld geliehen. Also ich hab so ein Gutschein bekommen, den ich dann ihr gegeben habe, weil ich dachte sie braucht den eher, weil sie gerade umgezogen ist. Als ich dann gemerkt habe, dass unsere Beziehung abgebrochen wird und wollte ich dass sie mir das zurückuzahlt. Sie hat mich dann auf dem Handy blockiert. Das hat mir alles so weh getan, dass sich bei mir auch ein richtiger Hass auf sie entwickelt hat. Sie kam jetzt nach knapp zwei Jahren an und ihr fiel ein, ach sie hat mich ja doch lieb, und sie ist ja meine Schwester.  Ich weiß noch nicht was dran ist. Aber das ist ne andere Geschichte.


Deine Schwester meinte ja, dein Opa würde nen Herzinfarkt bekommen, wenn du so auftrittst, wie du auftrittst. Warst du schon bei deinen Großeltern?


IP:
Ja, ist ja schon etwas her. Um sie nicht zu schockieren, als ich mich geoutet habe, habe ich mich noch mal verkleidet und bin hin und habe ihnen das gesagt und die haben gleich versucht mich Elena zu nennen. Es fiel, es fällt ihnen auch heute noch schwer. Elena kriegen sie hin, aber mit dem „er“ und den „sie“ klappt es nicht immer. Ich muss dazu sagen, mein Opa ist jetzt siebenundachtzig geworden, also… Sie geben sich extrem Mühe. Die Oma korrigiert ihn immer. Drei Sätze später macht sie es auch falsch, aber das ist total knuffig. Total süß. Sie geben sich richtig Mühe, unterstützen mich. Meine Oma hat dann angefangen und hat mir [zeigt auf ihre Handtasche] hier, die Handtasche geschenkt. Also Omi kauft sich immer Sachen. Aber später sagt sie dann: „Ach, naja, das gefällt mir doch nicht“. Und die bekommen dann ihre Enkel. Ich bin der Meinung, sie kauft sich die wohlweislich, um es ihren Enkeln zu geben. Wenn sie so uns was kauft, denn blubbert Opa immer rum.


Hast du vielleicht außerhalb deiner Familie Erfahrungen mit Gewalt oder Diskriminierung gemacht?


IP:
Ich habe online so ein paar Sachen mitbekommen, aber nicht mir gegenüber, sondern allgemein oder gegenüber jemand anderen. Also bei den meisten Leuten ist das so, die bekommen nicht mit, die bekommen das nicht mit. Also wenn ich telefoniere… Absolut kein Problem. Anscheinend bin ich von meiner Art so, aber ich doch bisschen Bedenken gehabt. Ich spiel auch online so ein Rollenspiel, MMO. Ich hatte auch Bedenken mit den Leuten in Voicechat zu gehen und mit denen zu sprechen. Und die meisten haben mich so, bevor ich irgendwas gesagt habe, einfach von meiner Art her, haben die gesagt, ja du bist ja ein Mädel. Also absolut ohne, dass ich irgendwas mich da geäußert hätte in der Richtung, nehmen mich die Leute so wahr. Also hab ich in der Richtung meistens kein Problem, aber ich weiß von anderen, wo halt abwärtige Wörter benutzt werden, wie „Futa“. Das kommt aus dem Japanischen, bezeichnet eine Frau mit Penis. Ich persönlich find das der Begriff ziemlich abwertend ist. In einem Chat habe ich auch mitbekommen, dass da eine sagte, dass eine Transfrau auf sie steht und ein anderer hat gemeint: „Sag ihr einfach, sie soll dich in Ruhe lassen. Du bist ne olle Transe“ und so was. 

Ich habe auch eine Bekannte verloren, die ich in den USA kennen gelernt habe. Die war immer sehr skeptisch und mich in Frage gestellt hat.  „Na ja, bist du sicher, was du da machst?", hat sie immer gefragt. Ich habe sie irgendwann mal wieder angeschrieben und sie hat mir mit meinem alten Namen zurückgeschrieben. Ich habe ihr da gesagt: „Okay, diese Person gibt’s hier nicht. Falsche Person.“ Und habe den Kontakt beendet. Ich war mir sicher, dass das nicht aus Versehen passiert ist und nachdem sie mich immer nur hinterfragt hat, auch nachdem ich ihr erklärt habe, dass ich seitdem ich zwölf Jahre alt bin, mit mir selbst damit kämpfe. So etwas brauche ich nicht.


Meinst du, dass es vielleicht am Passing liegt, dass man eventueller Weise nicht irgendwie auf der Straße angepöbelt wird oder so?


IP:
Ich denke ja. Nur das Problem ist, man wird angeguckt. Als Frau wirst du einfach mehr angeguckt, als als Kerl, ist so. Andere Frauen gucken dich an, Kerle gucken dich an. Das Problem ist für uns, du denkst immer: „Warum starren dich Leute gerade an?“ Starren sie dich an, weil sie irgendwas vermuten oder starren sie einfach nur, weil Leute starren. Meine Therapeutin sagt immer wieder, sie wird auch immer angestarrt und sie starrt auch manchmal selber und sie hat sich dann angewöhnt dann zu sagen, die Leute anzusprechen, warum sie starrt, damit sie es nicht komisch finden. Ich meine, ich erwisch mich auch manchmal. „Boah, hat die geile Schuhe“ oder „Wo hat sie dieses Oberteil her?“ Du starrst manchmal einfach unterbewusst und meinst gar nichts dabei und ich versuch mir immer einzureden „Okay, also mein Passing ist ziemlich gut“. Man hört das natürlich wieder ganz gern von anderen Leuten. Das Problem ist nur, Leute die dich einfach nur von früher kennen, können das nicht einschätzen. Um so länger die einen kennen, desto schwerer. Also ich weiß, ich hab n paar Freunde, die kennen mich noch nicht so lange. Eine, mit der ich befreundet bin, die kannte mich ein Semester lang. Die hab ich in der Uni kennengelernt und sie sagt mir immer, sie kann sich nicht daran erinnern, wie ich früher aussah. Sie kennt den Unterschied nicht mehr.

Ich war auch mal zum MRT oder CT, wie auch immer und ich wurde dreimal gefragt, ob ich sicher bin, dass ich nicht schwanger bin. Das war so: „Yessss“, so ein richtig gutes Gefühl. Oder wenn man dann von Kerlen in der S-Bahn angebaggert wird und die einem seine Nummer geben, ist das auch ganz cool. Das ist immer sehr gut fürs Ego. Was ich auch ganz geil fand, war was ein Freund mir das erzählt hat. Ich war bei denen, da hab ich gerade eine Woche mit Hormonen angefangen, da hat man dementsprechend noch nichts gesehen. Aber da habe ich noch sehr viel mit Make-Up gemacht. Jetzt trag ich eigentlich praktisch gar kein Make-Up mehr. Also  einer seiner Mitbewohner hat gar nichts gemerkt und ein anderer hat ihn drauf angesprochen, ob ich denn als Mann geboren wurde. Was auch schon sehr positiv ist, das sagt für mich, ich hatte schon ein gutes Passing, obwohl sich eigentlich körperlich noch nichts getan hat und der hatte auch nur gefragt, weil er in seinem näheren Umkreis auch jemanden hat. Das heißt, also Leute, die sich aus dem Umkreis von anderen trans* Personen, die kriegen die Anhaltszeichen mit. Also gerade hier im Halsbereich oder gewisse Merkmale im Gesicht, die man hat und so, aber ich weiß nicht, ob er mittlerweile immer noch fragen würde. Das war schon knapp zwei Jahre her.


Hattest du schon vorher so ne hohe Stimme oder bist du zur Logopädie gegangen?


IP:
Ja und ja. In der achten, neunten Klasse wurde ich konsequent gehänselt von anderen Mitschülern, dass ich eine Heliumstimme hätte, weil meine Stimme so hoch ist. Dass ich ein Mädchen sei. Zu dem Zeitpunkt hab ich es mir noch nicht selbst eingestanden und hab versucht es zu kaschieren, zu verstecken. Ich bin der Meinung, dass ich wahrscheinlich unterbewusst angefangen habe tiefer zu sprechen. Nach meinen Outing bin ich zweimal zu einer Logopädin gegangen, die hat aber gleich gesagt, dass man an der Stimmhöhe nichts machen muss. Es ist nur halt die Sprechweise, die das Problem ist. Mir wird meistens gesagt, ich bekomme das ganz gut hin. Meine Stimme ist wohl sehr melodisch. Also ich hab sehr viel Schwankungen drin. Manchmal hab ich das Gefühl ich sprech total monoton, aber anscheinend tu ich es nicht. Das mit der Stimme lief ein bisschen von alleine. Ich hab natürlich aber auch zu Hause Übungen gemacht. Da habe ich mich eine viertel bis halbe Stunde jeden Abend hingestellt. Am Anfang später hab ich dann einfach nur noch darauf geachtet, dass ich bestimmte Sachen durch setze und dann kam das mehr oder weniger und das ruck zuck. Also ich wurde auch ganz schnell in der Uni gefragt, ob meine Stimme auch dadurch kommt, dass ich Hormone nehme. [kichern]


Also war deine Transition relativ präsent in der Uni? Also die Leute haben das schon mitbekommen?


IP:
Ja, im ersten Semester kannten sie mich noch so und im nächsten Semester hab ich so gemacht. In den Semesterferien bin ich zum Sonntagsclub gegangen und habe dann auch innerhalb von einem Monat ein Therapieplatz bekommen. Nachdem es einmal raus war und nachdem ich einmal in der Öffentlichkeit, nicht nur im Dunkeln, raus gegangen bin, dachte ich: „Ok, geht nicht mehr. Du kriegst einen Koller, wenn du dich kennst, aber immer verkleiden musst“. Das ist so bedrängend, einzwängend. Es ist einfach einschnürend und das hab ich auch damals meinen Eltern gesagt: Wenn ich jetzt gezwungen wäre aus irgendeinem Grund so leben zu müssen, sehe ich keinen Grund zu leben. Es ist für mich einfach nicht mehr möglich. Ihre Annahme war, ich versuche sie damit zu erpressen. Ich habe einfach nur ihnen klar machen wollen, dass ich es ernst meine. Die sehen das bis heute nicht so, aber egal. 

In der Uni war es so, ich habe zwei Leuten, denen habe ich es vorher gesagt. Einer davon, ein offener Schwuler, der sehr tuntig ist, war total happy, weil er steht auf Transen. Der hat das ein bisschen, glaube ich, falsch verstanden, dass ich kein Transvestit bin. Die andere war eine Lesbe. Ich bin dann einfach ins zweites Semester, hab mich hingesetzt und ohne, dass ich was machen musste, wussten alle Leute meinen Namen und haben mich damit angesprochen. Das ging dann so, es kam nur noch einer und hat gesagt „Oh sieht ja, hat sich ja ganz schön verändert, der Junge“. Dann sag ich „Es ist die Frau“.  Und damit war das Thema eigentlich erledigt. Nach ein paar Wochen kamen die Leute dann an und haben angefangen mich vorsichtig auszuquetschen. „Darf ich dich was fragen?“,  „Und wie isn dis?“ Die waren halt neugierig und ich habe auch gemerkt, dass sie sich hinter meinen Rücken darüber unterhalten haben, aber ich habe keine negativen Sachen mitbekommen. Also nicht, dass ich irgendwie negativ behandelt wurde von den Professoren. Nur kam die Frage „Wie sprech ich sie denn jetzt an?“, also „Was ist denn jetzt richtig?“, weil in den Unterlagen noch der andere Name drin stand. Die Uni wollte das nämlich nicht ändern.

Was neckisch war, weil ich der Arbeitsvertrag, wo ich zur gleichen Zeit angefangen habe, auch schon auf meinen Namen lief. Meine Immatrikulation wollten sie nicht ändern, bis der Gerichtsbescheid durch war. Sie hätten es machen können, aber die hatten wohl Angst. So wurde ich dann doppelt geführt, als zwei verschiedene Personen bei denen. Das war ein bisschen nervig, weil ich mich dann jedes Mal geoutet habe. Da hatten wir auch zum Beispiel eine BWL-Professorin, die für alle Leute Namensschilder ausgedruckt hat und ich habe dann gesagt „Ja, da ist mein Namensschildchen, aber ich streich mal den Namen durch“ und sie so: „Ach, wieso?“ Das ist nicht cool, aber ich meine, sie konnte auch nichts dafür und für sie war das auch total peinlich. Sie konnte es nicht ahnen und sie hatte auch nie was damit zu tun gehabt.


Wie war das für dich, wenn die Leute zu dir kamen und dich ausgefragt haben?


IP:
Also am Anfang war es in Ordnung für mich. Da war ich auch relativ offen damit und die haben, und natürlich haben dann viele gefragt „So, wie ist das? Stehst du auf Männer oder wie ist das?“. Dann habe ich erklärt, dass das zwei verschiedene Sachen sind. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Irgendwann bin ich dazu übergegangen zu sagen „Es ist transident und nicht transsexuell“. Wenn du „-sex“ sagst, dann denken die daran zu wem du dich hingezogen fühlst. Es kamen auch ganz viele Fragen wie „Wie ist das denn so? Wächst dann dein Bart nicht mehr?“ und so weiter. Mittlerweile nerven mich die Fragen. Vor allem von meinen Freunden kommt zwar nicht mehr viel, aber wenn dann so was wie „Wie ist es denn mit deiner Familie?" Da wird sich nichts ändern, hat sich nicht geändert, da braucht man nicht fragen. Ich hab den Kontakt mit meiner Großmutter väterlicherseits wieder aufgenommen und von ihr kommt natürlich immer diese Fragen „ Hast du wieder was von ihnen gehört?“ Sie ist halt total wehleidig und ihr tut es weh, dass ihr Sohn nichts mit ihr zu tun haben möchte. Aber abgesehen von der Fragen, wo ich denke das ist ein alter Hut, versuche ich mir immer wieder bewusst zu werden, dass für alle anderen Leute erst zwei Jahre vergangen sind, für mich sind vier Jahre vergangen. Also die Zeit ist für mich anderes verflossen. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie es vorher war. Vorher ist für mich alle grau und bedrückend. Ich wurde halt auch sehr viel gehänselt in der Schule. Denn egal wie gut du es versuchst zu verstecken, die Leute merken, dass mit dir irgendwas nicht in Ordnung ist. Du bist anders. Ich wurde dann auch getreten, geschlagen, angespuckt von anderen Kindern in der Schule.


Gab es einen bestimmten Grund?
 


IP:
Nein, einfach weil ich in dem Moment anders war, weil ich war Außenseiter. Wenn du krampfhaft versuchst irgendwas zu sein oder zu spielen, was du nicht bist. Du fühlst dich halt nicht richtig wohl und wenn du dich nicht wohlfühlst, merken das andere Leute und gerade Kinder können extrem brutal sein. Die haben das natürlich total ausgenutzt. Gerade so die muskulösen Prahler, die waren denn der Meinung, das ist jemand, da kann man sich profilieren. "Das ist halt lustig so."


Hattest du in deiner ganzen Schulzeit damit Probleme? Bis zum Abitur hin?


IP:
Ja, also im Abitur war das dann nicht so. Da hat man sich einfach auf intellektuellerer Ebene bewegt, als in der Schule. Es waren einfach schon Leute mit ein bisschen Lebenserfahrung. Die haben niemanden mehr gemobbt, denke ich ich. Also da hab ich keine negativen Erinnerungen. Nur der Sportunterricht war für mich immer ein Krampf. In der zehnten Klasse oder so, habe ich aufgegeben und habe mich lieber zu den Mädels gestellt, weil ich mich da wohler gefühlt hab. Die Jungen haben mich sowieso immer nur veralbert und sich über mich lustig gemacht und es kamen Sprüche wie „Haste dir wieder die Beine rasiert?“ und so. Ich wünschte meine Beine wären jetzt noch so absolut haarlos perfekt, Babypopo, das ist nicht mehr so. Manchmal tat es mir so ein bisschen weh, wenn dann die Mädels sich darüber unterhalten haben, wie man ein BH zumacht. Jede hatte eine andere Technik und ich konnte nicht mitreden, hätte schon gekonnt, aber ich hätte mich in dem Moment geoutet, was absolut nicht in Frage für mich kam.


Wie haben denn die Mädels darauf reagiert, dass du dich immer zu denen gewandt hast?


IP:
Die waren okay mit mir. Also die haben sich auch mit mir unterhalten.


Aber dann wäre doch der Schritt des Outings eigentlich gar nichts so weit gewesen, oder?


IP:
Nicht mit den Eltern. Nicht mit denen. Zu dem Zeitpunkt war es einfach so. Ich wusste selbst noch nicht, was mit mir los ist. In meinen Gedanken war ich krank. So wurde es mir ja auch eingeredet. Man hat eine gewisse Art zu sein und wer nicht so ist, ist krank und dann dachte ich, ich bin krank. Ich dachte, es wäre ne Sucht, dass ich mir gerne Frauenkleidung anziehe. Ich habe versucht es zu unterdrücken, ich habe krampfhaft versucht, es nicht zu tun. Das hat nicht geklappt. Ich kam immer wieder darauf zurück. Ich dachte einfach, das ist falsch. Das ist krank. Du bist nicht richtig. Dann bin ich mit 20 für ein Jahr in die USA und meine Mutter bereut wahrscheinlich, dass sie diejenige war, die mich auf diesen Artikel hingewiesen hat, dass es dieses Austauschprogramm gab, woraufhin ich mich beworben hatte.

Mein Gedanke war, wenn du das ein Jahr lang durch hältst, dann biste geheilt. Was aber passiert ist, ist, dass ich wesentlich weltoffener geworden bin. Also ich hatte dann auch ganz viel mit Homosexuellen zu tun und ich war selber Ausländer und in dem Moment habe ich begonnen alles in Frage zustellen, was ansatzweise versucht wurde mir einzutrichtern. Was mich trotzdem ein bisschen genervt hat, war mein Tanzlehrer. er war halt extrem tuntig und hat eine Show draus gemacht. Der hat echt knallenge Leggings angezogen, so dass man halt alles gesehen hat. Oh Gott, aber der war halt Tanzlehrer vom LA-Broadway, da muss man wahrscheinlich so exzentrisch sein, aber ich dachte, das ist ein bisschen weird. Aber ich kam zurück und hatte an sich eine andere Lebenseinstellung und war wesentlich mehr ich selbst, aber ich sag mal so, so zwanzig Jahre Gehirnwäsche kriegt, wirst du nicht einfach so los. Dann hat es angefangen, dass ich mich immer mehr mit meiner Mutter gestritten habe oder sie sich mit mir, weil sie nicht akzeptiert hat, dass ich gewisse Dinge tue. Meine Beziehungen wurden sowieso nie gut gehießen oder sowieso jede schlecht gemacht, mit der ich zusammen war. Jede Beziehung. Mehr oder weniger wurde ich von meiner Mutter raus gemobbt, Schrägstrich von zu Hause raus geschmissen. Meine Mutter hat dann irgendwann gesagt ich soll ausziehen. 

Ungefähr nach einem Jahr nachdem ich zurück kam, bin ich dann ausgezogen und weil es für mich wichtig war, habe ich gefragt, ob es denn okay wäre, wenn ich Weihnachten vorbei komme, ob ich denn noch erwünscht wäre. Im Nachhinein sag ich mir: „Okay, ja, wäre gut gewesen, wenn ich es nicht gemacht hätte, dann hätte ich nicht so lange gebraucht“. Aber zumindest konnte ich endlich zu Hause so leben, wie ich wollte. In meiner eigenen Wohnung. Das war sehr befreiend für mich. Problematisch war nur, dass, wenn meine Eltern und Geschwister kamen, dass die ganz gern in meine Schränken gestöbert haben. Das war schon in meiner Kindheit so. Meine Mutter hat in regelmäßigen Abständen meine Schränke durchwühlt.


Das Eindringen in die Privatsphäre könnte man auch als eine Art von Gewalt bezeichnen, nicht?


IP:
Ja. Das war so wie ich erzogen wurde, in dem Moment wo ich irgendwas gemacht habe, eine andere Ansicht hatte als sie, mal etwas gemacht hab, was ihnen nicht gepasst hatte. Wir hatten dieses Schema, es ist alles Friede, Freude, Eierkuchen, wir essen schön Abendbrot und dann wird das Besteck nieder gelegt und dann hieß es: „So!“. Und dann wurde verbal auf mich eingedroschen, so lange, bis ich klein bei gegeben habe. Das ging dann auch teilweise bis drei vier Uhr morgens, dass ich dann einfach so müde war und gesagt hab: „Lasst mich in Ruhe!“. Habe ich nichts mehr gesagt, kam dann immer „Sag, doch mal was dazu.“ Und immer, wenn ich etwas gesagt habe, was ihnen dann nicht gepasst hat, ging es so lange, bis ich dann nichts mehr gesagt habe, bis ich ihrer Meinung nach jetzt so lebe, wie sie es ihnen gefällt. Und deswegen hat es halt echt so sehr lang gebraucht. Und stell dir vor, wenn ich dann gesagt hätte: „Hey, ich muss da mit euch über was reden“. Die hätten mich wahrscheinlich zur Umerziehung geschickt, die hätten mich verbal fertig gemacht, mich wahrscheinlich auch angefangen zu schlagen. Ich hab als Kind durchaus auch Schläge bekommen, sowohl von meinen Vater als auch von meiner Mutter. Meistens kam das besonders von meiner Mutter. Einmal zum Beispiel hat meine Schwester, die immer sehr verhätschelt wurde, sich im Nebenzimmer irgendwas getan, dann fliegt meine Tür auf, ich sitze an meinen Schreibtisch, mache meine Hausarbeiten und meine Mutter stürmt rein und knallt mir eine mit voller Wucht. Sie war der Meinung, ich hätte meiner Schwester was getan, ohne nach zu fragen. Das habe ich ihr später noch Jahre lang vorgehalten. „Ja, da war ich wahrscheinlich gestresst.“ Keine Entschuldigung, nichts. „Und meistens warst du ja sowieso schuld“. Ich dachte eigentlich, ich hätte eine sehr gute Beziehung zu meiner Schwester, wirklich sehr eng. Aber dann hat sie mich ja betrogen, böse. Deswegen hat es bei mir extrem lange gedauert, bis ich darüber hinweg gekommen bin. Ich habe sehr lange versucht, es ihnen recht zu machen, weil es trotzdem deine Eltern sind und damit verlierst du irgendwie deine Eltern. Ich wusste, dass es passieren würde in dem Moment, wo ich mich oute und das ist auch so passiert. Ich hab alles, was ich sagen wollte, zurück gehalten. Vielleicht brauchen sie nur Zeit, gib ihnen die Chance, habe ich mir gesagt. 


Wann hast du denn oder wie hast du dich informiert, dass du nicht krank bist?


IP:
Das war um 2010, 2011 rum. Ich hatte ne Freundin. Es war immer so, dass mich das extrem gebremst ab einem gewissen Punkt in meiner Beziehung hat. Es ist halt ein riesen Teil von meinen Leben gewesen und eigentlich musste ich mich immer verstellen in meinen Beziehungen und damals war das erste Mal, dass ich in einer Beziehung mit jemanden darüber gesprochen habe, so im Ansatz. „Hey manchmal würd ich ganz gerne und so“, hab ich gesagt. Und sie war dann neugierig und fragte: „Na immer oder nur beim Sex?“. Sie hat einfach neugierig geguckt und war interessiert und aber diese Frage, dieser Blick war für mich so intensiv, dass ich halt ein Rückzieher gemacht habe und ich meinte „Nur beim Sex“. Damit war das Thema vorbei, also ich hab das einfach nur bereut und sie sagte dann „Hast du mal eine Beratungsstelle deswegen besucht?“ Sie studiert auch Soziale Arbeit. Wir haben uns ein bisschen blöd getrennt und alles, aber wir haben wieder Kontakt. Sie hat sich mittlerweile auch total viel mit dem Thema beschäftigt. Und daraufhin kam mir so: „Oh stimmt, es gibt ja so Dinge wie das Internet.“ Eigentlich bin ich mit Internet aufgewachsen, aber es ist mir nie in den Sinn gekommen, das mal zu suchen. Mir wurde eben eingetrichtert, dass das falsch ist, krank ist. Es kann ja niemand anderen geben, der so ist wie ich. Und in dem Moment hab ich dann so Seiten gefunden, wo man so Tests machen kann. Wenn ich ehrlich geantwortet habe, kam da immer raus: „Ja, könntest trans* sein. Du solltest mal zu einer Beratung gehen.“ Daraufhin hab ich auch gesucht und gefunden. „Boar, es gibt ja doch einige Leute, die das Problem haben“. Dadurch auf den Sonntagsclub in Berlin gestoßen und hatte dann jahrelang diese Nummer da liegen. In der Beziehung war ich nämlich eigentlich glücklich, wir hatten Spaß und es war so auf einmal. Aber irgendwann kam ich von der Arbeit und stand auf dem Bahnsteig und  als die Bahn einfährt, merke ich nur, wie ich mich vor dieser Bahn werfen möchte. Ich hatte schon ein Schritt nach vorne gemacht. Ich war dann im dem Moment so entsetzt und schockiert von mir selber. Ich habe es geschafft mich zu bremsen und es war dann jeden Tag nach der Arbeit, so zwei Wochen lang hatte ich diesen extremen Drang, mich vor die Bahn zu werfen und dann hat es noch ein bisschen gedauert, bis ich dann endlich den Mut gefunden habe. Ich habe immer noch versucht mir zu sagen: „Du studierst jetzt und machst dein Studium fertig, ziehst das durch und danach wird alles besser.“ Dann kam irgendwie die Dreißig immer näher und ich sag so: „Dein Leben ist so, nichts ist so gelaufen, wie du es wolltest. Du gehst jetzt einfach zu dieser Beratung.“ Von heute auf morgen habe ich angerufen, war am nächsten Tag da. Ich habe das erste Mal jemanden fremden das alles erzählt und sie sagt: „Ja, hier sind ein paar Adressen für Therapeuten.“ Und dann: „Herzlich willkommen und hier und dann ist der Stammtisch.“ Für die war das so total klar, was los ist, was für mich noch gar nicht so klar war. Innerhalb von zwei Wochen bin ich das erste Mal zum Sonntagsclub so gegangen, um mich mal zu informieren. Das nächste Mal habe ich mich getraut wie ich raus zu gehen, was natürlich ganz schön krass war, weil mein Arbeitgeber, wo ich gearbeitet habe, auf dem Weg zur S-Bahn liegt und genau das erste Mal, wo ich mich traue im Tageslicht  raus zu gehen, steht neben mir ein Kollege. Oh mein Gott, ich hatte so eine Panik. Er hat mich, glaube ich,  nicht erkannt. Er ist dann auch ganz schnell über die Ampel gerannt.


Aber das war doch bestimmt ein super befreiendes Gefühl für dich, dann endlich zu wissen „Was ist mit mir los?“, oder?


IP:
Ja, ja und nein, ich war panisch, ich hatte Angst: „Oh mein Gott, was ist, wenn Leute was sagen. Was ist, wenn ich jetzt blöd angemacht werde von irgendjemanden“. Und einerseits panisch und andererseits total befreiend.

Nach der Reaktion meiner Erzeuger ist es einfach so, wenn die Leute, die dir am nächsten stehen, wenn die so reagieren, erwartest du das von allen anderen auch. Ich habe dann gesagt, ich mache es nicht mit all meinen Freunden auf einmal, sondern ich gehe Schritt für Schritt mit jeden einzeln, damit ich einfach nicht total die Krise kriege und jedes Mal aufs Neue war die Angst da: „Ach, der wird wahrscheinlich auch total schlecht reagieren.“ Die Erste war eine Freundin, zu der bin ich hingefahren nach Wolfsburg. Wir waren spazieren und ich habe ewig gebraucht, bevor ich ihr gesagt habe, dass wir reden müssen. Sie hatte sehr viel Geduld gezeigt und sie sagte: „Na ja, ich muss dir was sagen, nimm das nicht falsch, aber ich wusste eigentlich schon seit Jahren, dass mit dir irgendwas ist. Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen. Ich dachte, du wärst schwul. Aber ich

habe gedacht, wenn du soweit bist, dann kommst du schon. Und dann sagst du Bescheid.“ Puh, da fiel mir ein, Stein vom Herzen. Vor allen Dingen nach der absoluten Schocksituation, da so fertig gemacht zu werden, und zu sagen, dass es ja nicht geht und du versaust dir dein ganzes Leben, dann so eine Reaktion war total cool. 

Ich war eine Zeit lang allein und habe dann halt im Sonntagsclub eine kennen gelernt, mit der ich so ein bisschen zusammen war. Wenn man allein ist, dann ist man anfällig für Leute, mit denen man eigentlich nicht zusammen sein sollte und ich wurde von der auch ziemlich schlecht behandelt. Es war ein ständiges „Ich hänge immer noch so sehr an meiner Ex.“ Ich habe mit der auch richtigen Psychoterror erlebt. Sie hat mich auch ins Bad eingeschlossen. Ich glaube, sie war wirklich psychisch krank und wollte Gewalt oder Macht über mich ausüben. Einmal hat sie mich mit Wasser bespritzt und dann hab ich zurück gespritzt. Da hat sie mir mit voller Gewalt eine gelangt. Also richtig böse. Ich wusste erst gar nicht was los ist, es hat erst mal so zwanzig Sekunden gedauert und dann ist mein Kopf explodiert vor Schmerz und da waren noch ähnliche Dinger. Ich habe es dann geschafft Schluss zu machen, als sich mein Freundschaftskreis gefestigt hat. Normalerweise würd ich mich eigentlich nie so lange von jemanden misshandeln lassen, aber ich habe es zum Glück geschafft, das zu beenden.


Über welchen Zeitraum ging das?


IP:
Vier fünf Monate. Im Nachhinein ging es dann ins Stalking über. „Du machst deine Tür nicht auf? Dann werfe ich halt Schneebälle an dein Fenster.“


Hast du da mal irgendwelche Maßnahmen ergriffen? Die Polizei angerufen oder so?


IP:
Nein…  Dabei hat sie mir auch immer mit ihrem Selbstmord gedroht. Sie hat sich z. B. einmal eine Strumpfhose um den Hals gewickelt nachts. Das hat sie dann damit abgetan, dass sie mal ausprobieren wollte, wie es aussieht. Sie hat sich auch mit Nagellack den Arm so angemalt, als ob sie sich aufgeschlitzt hätte und ich habe ihr das im ersten Moment auch geglaubt. Da bin ich auch total ausgerastet. So Spielchen hat sie getrieben.


Wie ist dein Leben jetzt so? Liegt das alles hinter dir oder sind noch ein paar Sache offen?


IP:
Ich sag mal so, ich bin noch in der Transition. Da sind halt noch ein paar Sachen, die ich hinter mir haben will, aber im Großen und Ganzen würde ich sagen, mein Leben ist so viel besser. Es ist in Farbe. Ich bin zwar teilweise gestresst, aber es ist nicht mehr dieses ständige „Ich bin falsch“. Ich bin einfach gestresst wegen Sachen, wo ich mir denke, da sind andere Leute auch gestresst. Wegen Uni, wegen Arbeit, Familie. Aber im Großen und Ganzen kann ich sagen, bin ich zufriedener. Ich bin wesentlich ausgelassener.


Also du hast jetzt noch nicht den kompletten Schritt getan sozusagen in der Transition oder willst du das überhaupt?


IP:
Das ist für mich gar keine Frage. Das ist für mich ein Muss. Alles. Die Brüste müssen noch ein bisschen, deswegen fang ich jetzt an. Ich habe auch schon einen Termin für meinen Kehlkopf. 


Willst du das operativ machen? Ich hab gehört, dass das ganz doll gefährlich ist.


IP:
Stimmbänder sind gefährlich. Stimmbänder würde ich auf keinen Fall machen lassen. Ist bei mir auch gar nicht notwendig. Für mich ist mir die Kehlkopf-OP sehr wichtig. Es ist nämlich so, dass ich früher Turniertanz gemacht habe und ich möchte gerne wieder tanzen. Dadurch, dass mich ein Kollege auf der Arbeit auf den Kehlkopf angesprochen hat, denke ich schon, dass der auffällt. Ein Teil meiner Kollegen wissen natürlich warum, aber ich glaub die neuen Kollegen wissen es nicht unbedingt. Von einem Kollegen würde ich sogar nach Dating-Tipps gefragt, [Lachen]

Ich traue mich nicht nach oben zu gucken, weil man es sofort sieht, aber die Tanzhaltung ist den Kopf nach oben zu machen und das ist für mich echt ein Problem. Ich weiß, also manche Leute ist nichts, aber mich stört es sehr. Ich nehme lieber in Kauf, dass da eine Narbe ist, weil bei einer Narbe kann man denken: „Vielleicht hast du mal einen Unfall gehabt. “ Selbst wenn die Narbe nicht gut verheilt. In der Regel habe ich aber eine ganz gute Narbenheilung gehabt. An meinen Händen siehste nicht wirklich viel oder hier an der Oberlippe.  Ich will das auf jeden Fall machen lassen und dann ist halt das ganze Lasern, Nadeln… Körperbehaarung muss weg.


Ist das nur die Bartepilation oder komplett der ganze Körper?


IP:
Am liebsten den ganzen Körper. Zur Zeit ist es so, dass ich nur das Gesicht machen lasse und das sieht schon ganz gut aus. Ich war jetzt  erst gerade wieder gewesen und das ist immer so, dass es nach ein paar Wochen noch was dunkles, besonders aber die blonden wieder kommen, woran ich noch mal mit der Nadel gehe. Ich habe auch Brust und Bauch ganz schlimm. Das ist auch schon echt gut geworden, da kann ich mich locker mal auch, wenn ich mich da zwei Wochen nicht rasiere, dann ist das mittlerweile auch nicht weiter schlimm. Also da hab ich auch schon was machen lassen. Die Arme gehen jetzt gerade so.


Rasierst du dir die Arme?


IP:
Ich rasiere mir die und ich habe ein Heimepilationsgerät. Wenn ich die nicht mache, dann sind die dunkel und richtig dicht, also das sieht richtig affenmäßig aus. Das finde ich ganz schlimm. Früher habe ich alles komplett epiliert, aber mit der Zeit ist meine Haut sehr empfindlich geworden durch die Hormone.  Ich hab ja jetzt richtig schöne weiche Haut. Aber das Epilieren geht nicht mehr, es ist alles total entzündet. Die Beine kann ich mir noch wunderbar epilieren, aber alles andere geht nicht. 


Aber geht die Behaarung durch die Hormone nicht eigentlich weg?


IP:
Nein, was passiert ist, dass das Haarwachstum nachlässt, also es verlangsamt sich. Sie werden dünner und sind nicht mehr so borstig, aber sie gehen nicht wirklich weg. Also das ist nicht so, dass sie ausfallen, deswegen muss man ja auch im Gesicht epilieren.


Und zahlt das alles die Krankenkasse?


IP
: In der Regel zahlt die Kasse das Gesicht, wenn du ganz viel Glück hast, ein bisschen das Dekolleté. Meine Kasse, mit der ich mich ewig rum gestritten habe, die haben irgendeinen Fehler begangen, so dass, als ich dann beim zweiten Widerspruch zum Anwalt gegangen bin, der Anwalt durchdrücken konnte, dass ich Gesicht, Brust und Bauch bekomme. Da war der Ärger doch nicht ganz umsonst.

Normalerweise ist es so, wenn du erst mal die angleichende OP bewilligt hast, bewilligen sie das meiste andere auch. Bei meinem Adamsapfel waren die auch aber der Meinung: „Nö, sie lehnen das ab.“ Dann muss ich jedes Mal zum Amtsgericht rennen, hole den Beratungsschein, gehe zum Anwalt. Ich meine, dann macht der Anwalt das, aber du sitzt im Amtsgericht auch locker mal zwei Stunden, fährst ja auch eine Stunde hin. Da sind drei vier Stunden am Tag weg und es ist jedes Mal Rennerei von Vorne. Ich habe mit meiner Namensänderung zum Glück so gut wie alles durch, also es ist überall geändert. Jetzt wollte ich meinen auch Mietvertrag nochmal neu aufstellen lassen. Die stellen sich aber ein bisschen quer, weil sie der Meinung sind, sie können mir einen neuen Mietvertrag geben, mit neuen Konditionen. Das Problem dabei ist, dass ich beantragt habe, dass ich ein bisschen was von den Semestergebühren zurück bekomme, weil ich eher wenig verdiene und die wollten jetzt einen Mietvertrag sehen. Wo auch jedes Mal Fragen kommen. Das war schon so, als ich während der Uni angefangen habe zu arbeiten, da kam dann von der Personalabteilung eine Mail mit "Herr oder Frau Nachname*." Sie waren extrem verwirrt, weil ich beides hatte. Zu dem Zeitpunkt war das gerichtliche noch nicht durch, das heißt sie hatten ein Arbeitszeugnis, die ich hab schon ändern lassen, aber Lohnsteuerkarte und Reisepass noch mit meinen alten Namen und die waren sehr verwirrt, aber total nett. Sie hat dann gesagt: „Ach na ja, da stellen wir uns nicht dagegen. Du bekommst das so. Gar kein Problem.“


Ging das schnell mit der Namensänderung eigentlich?


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Neun Monate. Das ist eine gute Zeit, aber es dauert halt echt lange, bis du das beantragst und so. Da arbeitet wirklich nur ein Richter im Amtsgericht Schöneberg, der macht das das ganze Jahr über und er hat tausende von Fälle, die der bearbeitet im Jahr. Das ist keine Sabotage, wie manche behaupten würden. Der Richter ist auch super. Also man kann sich nur wünschen, dass alle so wären. Weil der ist... Ich hab 'ne Freundin mit gehabt, weil er lädt ein ja ein zum Gespräch. Der Richter prüft auch noch mal, ob das wirklich so ist. Und seine Art und Weise ist so was von charmant. Er verwickelt einen in ein Gespräch. Er fragt einen schon ziemlich aus. Aber der macht das in so einer Art und Weise, die nicht irgendwie jetzt negativ, bohrend oder unangenehm ist. Das war ein richtig angenehmes Gespräch mit ihm. Er hat alles gefragt, was für ihn wichtig war. Also das habe ich auch noch nicht erlebt, dass jemand so, so eine coole Art an sich hat. Der ist echt super. Da wünscht man sich, dass die Leute beim MdK so wären. Als ich da war wegen des Gesprächs zur GAOP (Geschlechtsangleichende OP), hat die Frau da beim Rausgehen die ganze Zeit auf den Hintern gestarrt. Was weiß ich. Auch an der Art und Weise, wie die gesprochen hat, hat man gemerkt, dass die keine Ahnung von dem Thema hatte. Die hat so Initialfragen gestellt, die Standard sind und die man erwartet und dann sagt sie zu mir: „Na, zeigen sie mal den Bart!“ Das kannst du doch nicht fragen. Das ist so was von rabiat. Null empathisch. Da du fühlst dich wieder wie ein Kerl behandelt, eine Frau hat schließlich keinen Bart. Man hätte es auch so formulieren können: „Haben sie denn Probleme mit Gesichtsbehaarung?“ Und dazu war sie noch absolut stur. „Ja, sie müssen ja so und so lange in Therapie sein.“ 

Die Regelzeit sind anderthalb Jahre und als ich da war, waren noch anderthalb Monate, bis ich die Zeit abgesessen hätte. Erstaunlicherweise hat sie das trotzdem bewilligt, aber nur unter der Voraussetzung,  dass meine Therapeutin ein Schreiben aufsetzt haben, aus welchen Gründen es in Ordnung ist, dass ich das früher bewilligt bekomme.  Wozu ich sage, dass ist Schwachsinn, als ob sich in anderthalb Monaten was ändern würde. Aber meine Therapeutin meinte zu mir, die Frau, die ich hatte, ist wohl eine der schlimmsten und alle anderen Patienten von ihr, die bei der waren, wurden alle abgelehnt. Ich war die einzige, die das bewilligt bekommen hat. Was dann aber wahrscheinlich für mich spricht, in dem Sinne, dass, wenn ich ihr nicht gesagt hätte wer ich bin weswegen ich da bin, sie das vielleicht nicht mal mitbekommen hätte.

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