"Wenn wir jedes Mal zur Polizei rennen würden, dann hätten wir nichts anderes zu tun."

Die Themenreihe "Trans* - Diskriminierung und Gewalt" beschäftigte sich im Jahr 2016 in vier Interviews mit persönlichen Gewalterfahrungen sowie alltäglichen Erfahrungen von Diskriminierungen. Die interviewten Personen kommen aus Cottbus, Potsdam und Brandenburg. Die Interviews wurden im Rahmen eines Praxissemesters der Fachhochschule Potsdam durchgeführt. Die Interviews wurden mündlich geführt, später transkribiert und für diese Internetseite leicht zusammengefasst und redaktionell bearbeitet. Im Originalinterview werden durch die interviewten Personen teilweise vulgäre sowie gruppenbezogene Beleidigungen als Stilmittel in der Sprache verwendet. Diese Textstellen haben wir entsprechend (*) kenntlich gemacht. Es wurde darauf geachtet, trotzdem die Emotionalität und Authentizität der Erfahrungen beizubehalten. Wer wissenschaftliches Interesse an dem original transkribierten Text hat, kann diesen per E-Mail bei der LKS qu. Brandenburg anfragen.

Schwerpunkte

  • körperliche Gewalt bei geringem Passing
  • tägliche Konfrontation mit verbaler Gewalt und Umgang damit
  • kritische Einstellung zur Anzeigeerstattung
  • Trans*phobie am öffentlichen Arbeitsplatz (keine Toleranz vor offizieller Namensänderung bei z. B. Benutzung der Toilette, Kleiderwahl)
  • Coming-out im fortgeschrittenen Alter
  • ausschlaggebende Rolle von Representation/Identifikationsfiguren in Medien
  • Umbruch vom alten Leben (u. a. Beziehung zu Kindern)
  • zum trans* Sein stehen

Interview und Transkription: Anne Mense (Fachhochschule Potsdam, 2016)
Redaktionelle Bearbeitung: Maria Sievers (queer factory)



Was war der schockierendste Moment für dich in deinem neuen Leben als Trans*frau?


IP1:
Das war zu Beginn meiner Transition, da war ich, glaube ich, noch gar nicht so auffällig. Ich bin im Dunkeln in Berlin-Neukölln unterwegs gewesen, da kam mir ein Mann mit Migrationshintergrund* entgegen und ohne, dass ich irgendwas mitgekriegt hätte, schlug er mir so ansatzlos so so auf die Schulter, so dass ich hinterher hier so`n blauen Fleck hatte. Das war eigentlich das einzige, was ich so an körperlicher Gewalt erfahren hab. Andererseits reichte das, dass ich bestimmt zwei, drei Wochen lang richtig Angst hatte nach Neukölln zu fahren. Und wenn ich in Neukölln unterwegs war, war ich immer auf dem Fahrrad, damit ich ganz schnell weg konnte. Zu Fuß bin ich dann doch nicht so schnell gewesen, aber aufm Fahrrad fühlte ich mich annähernd sicher. Aber das hat sich mittlerweile erledigt. So diese, die Angst. Wie gesagt, so zwei, drei Wochen und dann dachte ich, ich lass mir mein Leben nicht von diesen Schimpfwort* nehmen.


Hat der Mann bei dem Vorfall irgendwie irgendwas dazu gesagt oder…?


IP1:
Ja, in seiner Sprache*...


Aber, also war das so, er ging an dir vorbei und hat dich einfach so geboxt?


IP1:
Ja, aber so, dass es tagelang weh tat und ein dicker, fetter, blauer Fleck war. Ich meine, das ist ja nichts im Vergleich zu anderen Personen mit anderen Erfahrungen, aber mir hat's irgendwie für eine ganze Zeit gereicht. Ansonsten gibt’s Gewalt nur in dieser vorkörperlichen Weise. Beschimpfungen, Belästigungen, sexuelle Beleidigungen, Bedrohungen so, ne? Dass Leute auf uns zu kommen. Also gerade jetzt, wo wir zusammen unterwegs sind. Dass sie meinen, wir sollten vom Bürgersteig verschwinden, weil wir hier nichts zu tun hätten. Und so was.


IP2:
Oder Morddrohungen…


IP1:
Ja, so verbale irgendwie, die man natürlich nicht so ganz ernst nehmen kann, aber Bedrohungen, klar in jeder Art, oder anspucken hatte ich schon. Na ja, man ist halt Dreck auf der Straße für diese.... Es sind ja immer nur so vom äußeren Anschein her schon jüngere Männer mit Migrationshintergrund*. So zwischen 15 und 30/35 vielleicht. Es gibt keine andere Gruppe, die mit mir so was macht.


Ehrlich? Das hätte ich jetzt nicht gedacht.


IP1:
Mit Weißen* haben wir das ziemlich selten, manchmal ein bisschen, dass einer abfällig* lacht oder so was, aber diese Gewalt, diese Aggressionen, die da wirklich so massiv sind, kommen von denen. Das ist immer auf diese Gruppe beschränkt dann. Nach meinen Erfahrungen. IP2 hat da schon andere Erfahrungen gemacht, aber ich leb ja nun seit drei Jahren so, übern Daumen, und das sind immer die selben. Und eigentlich ganz egal, wo ich mich in Berlin oder auch hier in Potsdam aufhalte. Wenn mir so etwas passiert, sind das immer die. 


Gab es strafrechtlichen Maßnahmen, die du eingeleitet hast, oder ähnliches?


IP1:
Also, vor ein paar Tagen hab ich einmal ne Strafanzeige gestellt. Da allerdings ging es um einen besoffenen Deutschen. Der stand mit einer ganz großen Gruppe herum und irgendwie weiß ich gar nicht, wieso das dazu kam. Der stand da am Bahnhof mit seinen Saufkollegen, jeder eine Bierpulle in der Hand und der sagte dann zu mir: „Ey, du Schwuchtel, was willst du hier“ und der stand da und hatte sich auch nicht auf mich zu bewegt, aber irgendwie hatte ich in dem Moment wohl das Gefühl, es reicht mir langsam und Bahnhof ist natürlich polizeinahe. Da laufen ja immer Streifen herum und dann hab ich das gemacht und während ich da so auf die Polizei wartete, war der schon so latent aggressiv, aber dann kamen so Leute aus der Gruppe heraus und stellten sich zu mir und sagten: „Ey, wir beschützen dich“. Und „Wir passen auf, dass er nichts macht. Also diese vermeintlich homogene Gruppe, die ich da erstmal so wahrnahm, differenzierte sich ziemlich schnell. Ja, also das war insofern dann auch gleichzeitig ne ganz positive Erfahrung. Am Ende kamen dann die Polizisten* und haben den halt mitgenommen, weil er sich auch nicht ausweisen konnte und haben ne Strafanzeige wegen Beleidigung aufgenommen, aber im Grunde war das ne Lappalie im Verhältnis zu dem, was uns sonst so passiert. 

Wir hatten auch so eine Begegnung mit paar Fußballfans. Da saßen wir in der Straßenbahn oder so und die waren richtig stramm breit und da war eine relativ aggressive Stimmung in der Bahn. Jedenfalls, kamen die da an und IP2 und ich guckten uns an und hatten zumindest ein bisschen Angst, was uns passieren könnte, aber dann habe ich ganz freundlich einen von denen, von dieser besoffenen Truppe, einen Platz angeboten und danach waren wir auf einmal die Schätzchen für die. Und dann haben sie mit uns geredet und waren total zuvorkommend und haben uns latent in Schutz genommen vor anderen, die irgendwie anfingen zu pöbeln über uns und das war irgendwie ganz niedlich. Also dieses Instrument, Leute einbinden, indem man auf sie zugeht, das klappt ganz gut, zumindest bei Deutschen oder die so deutschsprachig sind. Mit Menschen mit Migrationshintergrund* hab ich das bisher noch nicht so erlebt. Die reagieren nicht so positiv. Also die Deutschen kann man auch um Feuer bitten oder fragen, ob sie ne Zigarette haben oder man kann ihnen ne Zigarette anbieten. Das sind so Methoden, die eigentlich ganz gut funktionieren. Aber das setzt ja immerhin so ne gewisse Kommunikationsbereitschaft voraus, oder Fähigkeit, auf der anderen Seite. Und na ja, mit den Jungs mit Migrationshintergrund* hab ich ́s eben nicht so bisher erlebt, dass ich an die appellieren konnte. Weiß nicht, wie dir es geht? [an IP2 gerichtet]

[Gelächter]

Die meinen, sie könnten uns beleidigen, wobei wir uns das schon lange nicht mehr gefallen lassen. Also wir gehen dann auf die zu, pöbeln die an oder sagen denen, was Sache ist, halten denen zur Not ne Dose Pfefferspray unter die Nase und dann haben wa eigentlich seitdem das nur noch so erlebt, dass sie sich zurückziehen, den Schwanz einziehen und sich verpieseln. Aber ist natürlich irgendwie letztlich anstrengend. Also, jeden Tag, den du in Berlin unterwegs bist, in Kreuzberg oder in Neukölln, Dass du immer damit rechnen musst, dass so etwas passiert und in der Regel passiert es eben auch jeden Tag.


Wie gehst du denn damit um?


IP1:
Wie gesagt, auf die Leute zu gehen, wenn mich einer anpöbelt, dann pöbel ich zurück und sag: "Schimpfwort*, hau ab!“ „Fäkalsprache* dich!“ und wenn sie es nicht tun, dann halt wirklich das Pfefferspray hin halten und das wirkt immer. Und seitdem ich zumindest so dieses Gefühl Opfer zu sein umkehre und die zum Opfer mache, geht es mir damit ganz gut. Aber es ist auf jeden Fall auch lästig, weil man muss immer so gewappnet sein und immer aufpassen. Man kann nicht so sorglos* durch die Gegend trotten, wie ich das früher gemacht hab in meinem vermeintlichen Männerleben, als ich eben unauffällig war. Die sahen mich nicht, ich sah sie auch nicht besonders. Es gab nie einen Konflikt zwischen solchen Menschen* und mir, aber seit der Transition eben permanent. Ja, wer will das schon.


IP2:
Wenn wir jedes Mal zur Polizei rennen würden, dann hätten wir nichts anderes zu tun.


IP1:
Ja, wird natürlich immer gesagt von Leuten, die so politisch unterwegs sind. „Ja, das müsst ihr zur Anzeige bringen“. Ich will ja mein Leben nicht auf der Polizeiwache verbringen. Ich meine, auch dieses Mal da am Bahnhof, das hat bestimmt ne halbe Stunde oder länger gedauert. So von dem Moment an, wo ich die angerufen hab, bis sie dann endlich kamen, bis dann die Personalien aufgenommen waren. Da haben wa ja gar keine Lust zu. Außerdem, in Regel passiert das ja so im Begegnungsverkehr und wenn dann so zwei, drei, vier Typen* mich anpöbeln irgendwo am Kotti, ich würd die ja nie wieder erkennen und die hauen natürlich sofort ab, wenn es ernst wird. Also wenn ich die Polizei* rufen würde, würden die sich schon verpieseln. Also das ist alles politisch nicht korrekt, ne? Was ich so sage, aber die verhalten sich eben auch nicht politisch korrekt. Aber das sind meine konkreten Erfahrungen und die sind tagtäglich. Das sind ja auch nicht Frauen mit Migrationshintergrund*, die das machen. Das sind nicht ältere Männer. Die wissen, was sich gehört, dass man eben so eine Art von Respekt voreinander hat.


Hattest du da irgendwelche Erfahrungen gemacht mit so Begleitung oder Beratung in dem Feld z. B. mit Opferberatung?


IP1:
Nee, das würde ja voraussetzen, dass ich irgendwie da irgendjemand auf mich zu kommt aus dem Umfeld oder dass ich jemand aufsuche. Aber wozu? Also ich hab mal irgendwann auf ner beruflichen Fortbildung. Ich bin ja Sozialrichterin. Da hab ich die zuständige Oberstaatsanwältin kennen gelernt, die so diesen Bereich Straftaten gegen Mitglieder der LGBT Kommune verwaltet und betreut. Und die sagte natürlich auch. „Ja, müsst ihr zu Anzeige bringen und dann gibt es dies und jenes an Beratung“. Aber sie wusste natürlich genauso wie ich oder jeder andere, der betroffen wäre, dass das keiner macht von uns. Es sei denn, es kommt wirklich zu erheblichen Straftaten und Körperverletzung. Warum sollte ich da zur Opferberatung gehen, so lange es bei mir diese Schwelle nicht überschreitet, außer vielleicht wenn ich irgendwelche Rentenansprüche geltend machen könnte. Gott, das würde ich selber in die Hand nehmen. Da brauch ich keine Opferberatung. Als Juristin käme mir nicht im Sinn mir da irgendwo Beratung zu holen. Dir? [an IP2 gerichtet] Oder hast du das mal gemacht?


IP2:
Hab ich schon mal gemacht. Aber da hat man es in Berlin leichter, weil es dafür spezielle Stellen gibt, die sich auch wirklich damit auskennen. Hier in Brandenburg kannste das knicken. Ich bezweifle bei manchen, dass sie auch wirklich mit dem Thema auskennen. Bei der Lesbenberatung in Berlin war mir klar, dass die sich damit perfekt auskennen. Und, dass die da auch halt politisch aktiv sind in dem Bereich und offensichtlich auch Beratung anbieten können, die maßgeschneidert auf unsere Situation ist. Und die wissen ganz genau, was wir durchmachen, was wir sind und die haben da ein großen Fachwissen und Expertise. Da gings dann so ums AGG auf Arbeit und so weiter. Sexuelle Belästigung, Beleidigung, Rassismus oder als mein Butchpartner gestorben ist, bin ich da auch hin und hab mir Hilfe geholt. Oder als ich vergewaltigt wurde und so weiter und so fort. Aber so bei den Kleinigkeiten, wie Beleidigung oder so da ist meine Taktik - das hab ich auch IP1 beigebracht, sozusagen - zurück kontern.


IP1:
Sich wehren.


IP2:
Genau. Das kenn ich schon aus Schulzeiten. Die trampeln so lange auf dir rum, bis du dich wehrst und denen zeigst, dass du dich nicht klein machen lässt. Und dann verlieren sie den Spaß dran oder ziehen sich irgendwann zurück, wenn sie merken, die ist doch gefährlicher, als sie dachten. Wenn mich da irgendwer schief von der Seite anpöbelt, dann dreh ich mich auf dem Absatz um, geh hin und sprech mal denen in deren Sprache. Ich geh dann richtig schön dicht ran, versuche möglichst keine Angst zu zeigen und genauso fett zurück geben. Es gibt einen verbalen Schlagabtausch, bis sie merken sie können nicht gewinnen. Dann geben sie auf. Und dann machen sie es auch kein zweites Mal. Also es gab mal einen*, der hat ́s wirklich dreimal versucht, aber danach war dann auch Schluss mit lustig. [Gelächter] Da war ich dann nämlich auch schon drauf dran die Polizei zu rufen und das war ihm dann nicht, weil er keine Papiere hatte. Der hatte noch ganz andere Probleme gehabt und das er dann nicht auf sich nehmen wollen.


Was was definiert ihr oder du IP1 oder auch du IP2, was definiert ihr als Gewalt?


IP1:
Also für mich ist letztlich alles Gewalt, was so, ja, gegen meine Person gerichtet ist, also Beleidigungen und Belästigungen, Beschimpfungen, Anspucken. Das wär für mich schon alles ein Ausdruck von Gewalt. Also in dem Moment, wo ich das, was bei mir so ankommt als Aggression empfinde, das würde ich als Gewalt bezeichnen. Natürlich gibt es verschiedene Abstufungen, diese körperliche Gewalt ist mir nur einmal begegnet, und die würde ich auch nur als geringfügige bezeichnen, aber als Gewalt würde ich das schon empfinden. Es macht ja auch was in mir aus, also früher als ich mich eben nicht gewehrt hab, war ich wirklich immer hinterher ziemlich fertig, weil diese Wut, diese Hilflosigkeit, die tobte natürlich stundenlang noch in mir. Weil früher konnte ich mich eben nicht dagegen wehren, so, da hat man irgendwie versucht möglichst schnell da aus der Situation heraus zu ziehen. Oder ich hab versucht bloß nicht irgendwie aufzufallen, dass mir nichts passiert. Und das war ganz schlecht fürs Ego. Aber jetzt, wo ich mich eben gegen wehre, ist es trotzdem nicht so, dass es mich ja nicht berührt. Also ich meine, das kostet jeden Tag Kraft und ich denke mal, dass das natürlich was in mir ausmacht, Kraft raubt, und dass sich die Erfahrungen eben ständig sich wiederholen. Ja, ich find das ist Gewalt.


IP2:
Ich würd alles Gewalt empfinden, was so gegen die Würde des Menschen geht, egal auf welcher Ebene. Physisch, verbal, seelisch, psychologisch....


Also alles gegen die Person, sozusagen.


IP2:
Genau. Ganz allgemein gehalten.  Und diese gewisse Form von Nichtakzeptanz. Wenn man den Leuten zum fünften Mal sagen muss „Nee, ich bin kein Mann. Ich bin ne Frau." Sie.“ „Ja, ist doch egal“. Das empfinde ich auch als Gewalt. Die wollen für mich entscheiden, was ich dann bin. Das können die gar nicht. Das ist, ja, meine Person. Meine Grenze und mein Grundrecht.


IP1:
Ja, wahrscheinlich ist es jede Art von Grenzüberschreitung am Ende, ne?


IP2:
Genau.


IP1:
Die unsere Grenzen, unsere Persönlichkeit missachtet oder ja eben auch noch weiter verletzt. 


Hast du so etwas am Arbeitsplatz auch erlebt?


IP1:
Einmal ganz konkret mit einem Kollegen. Es war so, dass natürlich die Toilettenfrage wie immer eine Rolle spielte, eine ganz virulente. Auf die Männertoilette konnte ich schon lange nicht mehr gehen. Ich bin dann eine Zeit lang auf so eine genderneutrale Toilette gegangen. Da stand draußen Technikraum dran, war aber eben ne Toilette, die man auch abschließen konnte. Und irgendwann hatte ich das Gefühl, ich will mich da nicht mehr abschieben lassen. Mich selber auch nicht mehr abschieben. So, bin dann auf die Damentoilette gegangen, wohl wissend, dass das nicht besonders gewünscht war. Das war mir deutlich gemacht worden von der Gerichtsleitung. Und dann bin ich trotzdem irgendwann, also wieder mal hingegangen und dann hat sich ne Mitarbeiterin bei dem Richter beschwert, dass das ja nicht ginge, weil ich ja noch keine Frau sei. Ich war noch vor der Namensänderung, noch vor der GAOP [Geschlechtsangleichende OP]. Der Richter kam dann auf mich zu und meinte, so mehr oder minder wortwörtlich, nur weil ich n Fummel anziehen würde, bin ich noch lange keine Frau und dürfte also da nicht hin. Ich hab mich dann auch nochmal die letzten paar Wochen vor der Namensänderung  dann nochmal dran gehalten, weil ich keine Lust hatte diesen Konflikt auf eine Leitungsebene zu heben und auch keine Kraft mehr hatte. Ich war damals schon ziemlich schwer depressiv und noch nicht behandelt und ich konnte nicht mehr. Und da hab ich dann wirklich nochmal nachgegeben. Und das zog sich ganz lange nach, also in meinem Seelenleben und auch wenn ich diesem Mann jetzt so sehe, ich trag es ihm nach und ich bin wirklich nicht bereit mich irgendwie da ihm gegenüber irgendwie freundlich zu verhalten, so lange er sich nicht entschuldigt und das tut er auch nicht. Ich habe ihm das mal gesagt, dass ich es ganz verletzend gefunden hätte und dann kam nur so „Mhh, wär ja nun mal so gewesen“. Und ich hab ihn gesagt: „Solange du dich nicht richtig bei mir entschuldigst passiert gar nichts mehr, außer „Guten Tag“ sagen", weil das ist natürlich das Minimum, was man unter Kollegen oder Kolleginnen hält.

Es gab natürlich eine andere Form, die ich auch im Grunde als Gewalt empfand oder zumindest sehr verletzend. Ich war bereits vor der offiziellen Namensänderung nicht mehr in Lage in Männersachen meine Richtertätigkeit in der Verhandlung wahr zu nehmen. Ich war schon länger, nen Jahr vielleicht oder so, außerhalb der Verhandlungen als Frau unterwegs und auch im Gericht, auf der Arbeit. Und das fand mehr oder minder Anklang. Ich wusste auch, dass es Leute gab, die das nicht gut fanden, oder irgendwie völlig unverständlich fanden. Aber irgendwann habe ich dann der Präsidentin gesagt, dass ich in Männerkleidung nicht mehr in die Verhandlung gehen will. Wirklich ziemlich naiv und arglos, weil ich dachte, sie würde dem zustimmen, ist ja alles kein Problem. Aber sie sagte: „Nee, das ginge nicht, also ohne Namensänderung und diesen formalen weiblichen Status. Ich könnte ja vielleicht so ne Kammer übernehmen ohne Kundenkontakt, also ohne Kontakt zu den Klägern. Da haben wir so besondere Zuständigkeiten, oder vielleicht wäre ich ja auch dienstunfähig und müsste in die Rente oder ich bräuchte vielleicht ne psychologische Betreuung und Beratung und so was. Auf jeden Fall war ich völlig schockiert und konnte da überhaupt nicht mit umgehen. Ich konnte mich nur wieder zurückgezogen habe. Aber nach ein paar Wochen war ich immer noch so erschüttert von dem Ganzen, dass ich mir Unterstützung gesucht habe, bei der Schwulenberatung und bei der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales und noch irgendwo. Schließlich hab ich mein Anliegen schön juristisch schriftlich formuliert, als Mitteilung, dass ich beabsichtige, dass aus meinen persönlichen Gründen zu machen und dass ich denke, dass das in Übereinstimmung mit dem AGG sei und dem Persönlichkeitsrecht, um das auch juristisch aufzuzäumen.

Ich habe dazu geschrieben, dass sie erstmal in Ruhe darüber nachdenken kann. Sie hat das aber ziemlich schnell zu unserem Justizsenator hoch geschickt und der hat sich damit einverstanden erklärt oder zumindest mitgeteilt, dass es da kein Problem gäbe und seitdem hat sie zumindest formal auch diese Haltung. Mal abgesehen davon, dass ich ein paar Wochen später ohnehin die Namensänderung hinter mir hatte und danach dann auch die GAOP. Aber das war schon irgendwie für mich ein ganz schöner Gewaltakt, dagegen anzugehen und mir diese Unterstützung zu suchen und ich fühlte mich eine Zeit lang ziemlich hilflos und verzweifelt. Das ist schon irgendwie so ne Sache, die dann auch ziemlich lange noch auf der Seele lastet und das Verhältnis von mir zu ihr eigentlich beschwert hat. Aber ich glaub, das hat es auch andersrum letztlich, indem sie sich sehr vorsichtig bzw. zurückhaltend mir gegenüber verhalten hat und den Kontakt eine sehr lange Zeit gemieden hat. Aber das war eigentlich so der die zwei Punkte im Gericht, wo mir offensichtlich negative Dinge entgegen schlugen. 

Das sind eben so diese typischen neuralgischen Punkte. Toilettennutzung. In der Freizeit ist das natürlich überhaupt kein Problem. Irgendwann hab ich mich entschieden auf die Damentoilette zu gehen.  

Man könnte eigentlich annehmen, dass gerade in der Justiz, wo man als Teil der hoheitlichen Gewalt dem Bürger gegenüber tritt, das Äußere ein sehr heikles Thema ist. In der Praxis war das überhaupt nie Thema. Also die Leute wundern sich natürlich, wenn sie zu mir in die Sitzung kommen, weil ich nun nicht gerade aussehe wie ne Cis-Frau, aber sie respektieren das offensichtlich. Die sind natürlich auch in so ner Position, wo sie sich von ihrem Gefühl nicht viel erlauben können. Sie sind abhängig von der Gerichtsbarkeit, also in diesem Fall dann von mir als Richterin und da halten sie sich zurück mit irgendwelchen Meinungsäußerungen. Ich habe sogar die Erfahrung gemacht, dass das eher ein Stück Nähe schafft, zu vielen Klägern, weil sie Außenseiter dieser Gesellschaft sind. Ich bin das offensichtlich auch und das schafft so eine Brücke und Verbindung zu denen, also zumindest seitens der Beteiligten. Von Bürger, Anwälte, Behördenvertreter habe ich dennoch auch nie nur ansatzweise diskriminierendes erlebt. Gar nicht. Hat natürlich auch was damit zu tun, wie du eben auftrittst, also selbstbewusst, freundlich.


Wie lange hast du denn in deinem Beruf schon gearbeitet?


IP1:
Lange! Seit 95. Also mich kannten alle Anwälte, alle Behördenvertreter schon lange aus diesem alten Leben heraus und dann bekamen sie diesen Wandel mit, der sich letztlich über ein Jahr vollzog, das ging langsam eigentlich mit mir voran. Und normalerweise habe ich mit denen auch darüber gesprochen, weil die schon nachfragte, was das zu bedeuten hätte und insofern konnten sie das mitverfolgen und dadurch war das nicht so besonders aufregendes oder was ganz plötzliches. Das war ein Prozess, an dem die irgendwie teil hatten, als Beobachter.


Okay. Also ist das noch gar nicht so lange her, dass du dich entschieden hast in deinem richtigen, dein empfundenes Bild  aus zu leben sozusagen.


IP1:
Nö. Also genau, es sind erst dreieinhalb Jahre erst. Also sehr spät. Nach zwei Ehen und fünf Kindern.


IP2:
Und drei Enkelkindern.


IP1:
Und drei Enkelkindern. Also insofern ist das noch gar nicht lang. Ich meine, wenn ich mich früher dazu entschieden hätte, würde ich wahrscheinlich auch nicht so schlecht gepasst sein. Aber ich habe mich erst mit 57 entschieden überhaupt was zu machen. Und Hormone nehme ich auch erst seit nem Jahr und da ist natürlich der Körper schon so festgelegt in seiner Struktur, dass das nicht mehr so schnell geht. Also ich sehe sicherlich schon ein bisschen anders aus, als vor der Hormonbehandlung, bevor ich irgendwie in diese andere Leben trat. In das richtige.


Hast das schon immer gewusst?


IP1:
Ich hab immer gewusst, dass ich ne Frau sein wollte und oder früher ein Mädchen, aber irgendwie bestand da nicht wirklich eine Möglichkeit, keine reale. Ich hatte Angst davor, vor den Konsequenzen und es ging nicht. Ich hab mich zwar immer wieder damit beschäftigt, aber das reichte nie, um irgendwie mich so aus diesen alten Leben zu verabschieden. Also diese Rollenspiel hab ich schon mehr schlecht als recht irgendwie gespielt. 


Ich stell mir das total schwierig vor. Wie war das für dich, wenn man so von Kind auf weiß, das ist nicht mein richtiger Körper, in dem ich lebe?


IP1:
So hab ich das, glaube ich, nie wahrgenommen. Ich hab nur immer gemerkt, ich will anders sein. Ich möchte ein anderes Leben leben. Ich weiß es gar nicht, wie ich das empfunden habe. Kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern. Also ich hab mir immer ne körperliche Erscheinung gewünscht, wie ne Cis-Frau. Das war mir klar. 


Aber dann muss es einen ausschlaggebenden Punkt gegeben haben, der dich dann zu diesem Schritt geleitet hat, oder?


IP1:
Ja, das war als ich mit nem schwulen Freund vor dreieinhalb Jahren mal im Kino war und einen Film mit einer Transfrau gesehen hab, die mir von ihrem Prozess her, fand ich, relativ ähnlich war. Auch vom äußeren Detail, ne Zeit lang. Und ich sah diesen Film, sah diese Frau lang gehen im Film und dachte, das bin ich. Und als ich raus kam, wusste ich, das war's. Das war an so nem Punkt, als ich schon mehrere Jahre so merkte, mein altes Leben, das löst sich auf. Und ich hatte Angst davor. wahnsinnige Angst, das alles zu verlieren. Familie und dieses normale Leben, was ich eben kannte. Das ja irgendwie funktionierte und aber in dem Moment war's so, dass mir da anscheinend so ne Vorlage gegeben war, wo ich sagte: „Ja, jetzt“. 


Das ist ja krass, dass so ein Film so was ausmachen kann. 


IP1:
Ich weiß auch nicht, wie das bei anderen war. Bei mir war es so, dass das der Anlass war, so der Auslöser, glaub ich.


IP2:
Na ja, wenn es positive Vorbilder gibt, mit denen man sich identifizieren kann, um so leichter fällt es den Leuten doch auch. Dazu muss man erstmal wissen, dass es das gibt und was es für Möglichkeiten gibt und so und da muss man ja irgendwie drauf stoßen.


IP1:
Na ja gut, ich wusste natürlich schon mit zwanzig, dass es Möglichkeiten der OP gibt, des Geschlechtswechsels, des Namenswechsels und allem, aber das hatte nie die Kraft, dass ich das hätte durch vollziehen können. Aber als ich diese Person dann im Film sah, hatte ich so gefühlt, das bin ich. Das erste Mal. Ja, und dann war es das um dieses alte Leben geschehen. Und dann kam das auch genau so, wie ich Angst hatte, dass es kommen würde. Und ich dachte immer nur, ja, diese Angst war berechtigt. Trennung von der Frau, Trennung von Kindern, Trennung von Freunden und Bekannten. Das hatte genau diese ganze Konsequenz. Dieses angepöbelt werden auf der Straße, diese ewigen Blicke. Also ich hatte zu recht Angst davor. Ich wusste nur nicht, wie toll sich das anfühlt, endlich im richtigen Leben zu leben. Dieser Film hat das vermittelt, dass das eine wahnsinnig tolle Erfahrung ist und nicht nur irgendwie Probleme schafft, hat diese Probleme aber trotzdem behandelt. Die Hauptrolle hatte die selben Erfahrungen wie ich, also die noch mit den Eltern. Ich hatte keine Eltern mehr zu der Zeit. Das war wirklich so sehr lebensnah und trotzdem kam diese Kraft eben sehr für mich sehr ja emotional und direkt rüber, dass es richtig ist diese Angst zu überwinden.


Wie gehen denn deine Kinder damit um?


IP1:
Von den fünfen, die ich hab, hatte ich seit Jahren mit einem gar kein Kontakt mehr, schon vor der Transition, aus anderen Gründen. Von den anderen vieren ist es so, dass zwei mit mir zurzeit Kontakt haben, das ist inzwischen wieder sehr schön und emotional und zwei sich nicht melden und sagen: „Nee, wir können dich nicht sehen“. Sie haben das als Verletzung und Verlust begriffen, diesen Wandel an meiner Person, dass sie damit nicht umgehen können. Ich glaube, meine Exfrau trauert immer noch ihrem vermeintlichen Mann nach, den sie verloren hat. Und sie war nicht in der Lage mit zu gehen. Damals habe ich gedacht, für mich wäre es kein Problem gewesen, in der Ehe zu bleiben, wenn meine Frau das mit getragen hätte. Im Nachhinein stellt sich das schon natürlich wieder ganz anders da. Dass es doch nicht gegangen wäre und das, was jetzt ist oder auch mein Leben, was ich jetzt führe, mit ihr nicht möglich gewesen wäre, selbst wenn sie formal das irgendwie hätte akzeptieren können. Es waren eben ganz eigene Strukturen in der Beziehung und die Beziehung mit IP2 ist in keinster Weise zu vergleichen mit der alten Ehe. Ja, das Verhältnis ist eben schwierig mit vielen Personen.


Aber das ist doch bestimmt echt nicht cool für dich, oder?


IP1:
Nee, das ist überhaupt nicht cool für mich. Es gab auch eine Zeit, wo von den drei Kindern aus meiner zweiten Ehe nicht ein einziges zu mir stand oder noch Kontakt zu mir gewollt hat und das war wahnsinnig schmerzhaft. Das war das Schlimmste an der ganzen Transition. Die Erfahrung, dass meine Kinder mich ablehnen und nicht mitgehen können. Der Älteste aus der ersten Ehe, der war eine Zeit lang recht zurückhaltend und musste natürlich auch erst mal verdauen, dass die Person,die für ihn lange Papa war, auf einmal nicht mehr Papa war. Die Jüngste von den dreien aus der zweiten Ehe, die hat sich irgendwann wieder für mich geöffnet und auch für IP2 und das ist schön. Eigentlich fühlt sich das an wie früher, wirklich so eins zu eins, nur das ich endlich richtig bin. Aber die anderen zwei halten immer noch diese Distanz ein und das war grauenhaft. Ich hab geheult ohne Ende und auch als ich IP2 kennen lernte, stand dieser Verlust im Vordergrund und das war wirklich schwer. Na ja, ich hab halt 57 Jahre in so ein anderen Leben gelebt und Beziehungen gehabt, gerade zu meinen Kindern und die war sehr wichtig, die Beziehung zu meinen Kindern, für mich. Es fühlte sich zwar immer mehr mütterlich als väterlich an, weil ich wusste immer, dass ich diese Vaterrolle nicht spielen kann. ich habe das auch als Defizit erlebt und dachte immer, das müsstest du ja können. Du müsstest doch ein Vater für diese Kinder sein können, so ein richtiger. Aber das klappt natürlich aus meiner Sicht nicht so richtig. Aber trotzdem hatte ich ein ganz, ganz enge Beziehung von mir zu den Kindern. Na ja. So ist es. Also früher hätte ich nicht davon erzählen können ohne zu heulen, inzwischen geht das, ne? Wobei (Tochtername) ja auch so mit das wichtigste Kind war für mich.


Also, so weit sind wir eigentlich durch mit allen Fragen. Ich hab schon so Fragen gestellt, die gar nicht dazu gehörten, aber mich hat das eben interessiert. Man trifft ja nicht so häufig jemanden, der so etwas durch gemacht hat.


IP1:
Nö, nicht so häufig. So viele gibt’s von uns nicht, ne?


IP2:
Zumindest nicht offensichtlich.


IP1:
Obwohl es mehr sind, als man so denkt vielleicht .


IP2:
Manche sind vielleicht noch nicht out, da sieht man das noch nicht. Außer man hat die richtigen Antennen dafür, weil man das selber kennt und ein bisschen durch die Fassade gucken kann. Andere haben früh genug angefangen oder hatten von vornherein so gute Voraussetzungen, dass die überhaupt nicht mehr auffallen, dass du das nicht mitkriegen würdest.


IP1:
Für manche ist es auch ganz wichtig, gar nicht mehr drüber zu reden, über das alte Leben. Die wollen nur noch in diesem richtigen Leben gesehen werden und es soll nicht erkannt werden, dass mal etwas anderes war. Na ja gut, die Wahl hab ich sowieso nicht, von daher ist für mich mein Weg da offen dazu zu stehen. Wenn ich versuchen würde mich zu verstecken, vor dem was mal war oder vor der Möglichkeit erkannt zu werden, fände ich das schrecklich. Es passiert mir ja immer wieder, dass ich älteren Transfrauen begegne, die ein entsprechend schlechtes Passing haben und da nehm ich oft wahr, dass die da überhaupt nicht zu stehen und sich verstecken. Die wollen bloß nicht, dass irgendjemand erkennen könnte, dass sie keine Cis-Frau sind. Und das fänd ich glaub ich schwierig. Dazu zu stehen, ist für mich zumindest leichter, als irgendeine andere Möglichkeit. Ja. Ich bin nun mal so, wie ich bin. Dafür kann ich nun nicht so arg viel.

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