"Ich hätte es nicht gemacht, solange mein Vater gelebt hätte."

Die Themenreihe "Trans* - Diskriminierung und Gewalt" beschäftigte sich im Jahr 2016 in vier Interviews mit persönlichen Gewalterfahrungen sowie alltäglichen Erfahrungen von Diskriminierungen. Die interviewten Personen kommen aus Cottbus, Potsdam und Brandenburg. Die Interviews wurden im Rahmen eines Praxissemesters der Fachhochschule Potsdam durchgeführt. Die Interviews wurden mündlich geführt, später transkribiert und für diese Internetseite leicht zusammengefasst und redaktionell bearbeitet. Im Originalinterview werden durch die interviewten Personen teilweise vulgäre sowie gruppenbezogene Beleidigungen als Stilmittel in der Sprache verwendet. Diese Textstellen haben wir entsprechend (*) kenntlich gemacht. Es wurde darauf geachtet, trotzdem die Emotionalität und Authentizität der Erfahrungen beizubehalten. Wer wissenschaftliches Interesse an dem original transkribierten Text hat, kann diesen per E-Mail bei der LKS qu. Brandenburg anfragen.

Schwerpunkte

  • Gleichsetzung von Transphobie und Homophobie
  • Passing
  • Schwierigkeit passende Beratungsstellen zu finden

Interview und Transkription: Anne Mense (Fachhochschule Potsdam, 2016)
Redaktionelle Bearbeitung: Maria Sievers (queer factory)

 

Welche Diskriminierungen, Gewalt, Herabwürdigungen deiner Person waren für dich am schockierendste?

IP: ... Die erste typische Beleidigung: „Schwuchtel“. Da sind wir wieder bei der Gleichsetzung von Transphobie und Homophobie.  Ich hab die Beleidigung zur Anzeige auf der Polizeiwache gebracht. Es kam nichts dabei raus. Die Reaktionen waren natürlich gewesen: "Es kann nicht verfolgt werden. Es würde auf Behauptung auf Behauptung hinaus laufen." Und das war ́s.


Du hast ein super gutes Passing, auf der Straße würde ich Dir nicht ansehen, dass du nicht trans* bist. 


IP: Da würde ich dir sogar recht geben. Ich meine klar, logisch, spätestens beim Sprechen kippt dieser Ball. Durch viele Telefongespräche weiß ich, dass es beim Telefonieren doch anders rüber kommt. Es stimmt schon, mein Passing ist stimmig. Ich habe ein gewisses Selbstbewusstsein und Auftreten. Das Selbstbewusstsein habe ich durch mein Outing gefunden.


Hast du Erfahrungen mit Selbsthilfegruppen oder Beratungsangeboten gemacht?


IP: Ich war in Berlin mehrmals bei Selbsthilfegruppen gewesen. Ich habe natürlich mitgekriegt, dass in Cottbus und in der Lausitz gar nichts läuft. Deswegen habe ich im Rahmen der Aids-Hilfe Lausitz selbst versucht was aufzubauen. Dadurch habe ich natürlich für den Lausitzer Raum einige transidente Menschen kennen gelernt.


Das Problem ist, denke ich mal, dass eben so viele Förderung oder Unterstützung braucht, für so viele Dinge, die man unterstützen sollte und unterstützen könnte. Das wird manchmal wirklich schwierig, wie du es durch deine Studienarbeit weißt, dass das wirklich etwas ist, wo keiner Bescheid weiß und das gerade deswegen gefördert werden muss. Wir stehen wirklich noch auf dem Nullpunkt und da muss natürlich zumindest ne Zeit lang relativ viel geschehen, damit da zumindestens ne gewisse Basis entsteht, dass z. b. die Gleichstellungsbeauftragten Bescheid wissen und ein bestimmtes Grundwissen haben. 


Ich meine, dann ist das traurig, dass dann die Provinz sozusagen immer ein bisschen zurückstecken muss. Zum Schluss sind wir, genauso wie ich angefangen haben, nach Berlin gegangen. Die meisten entscheiden sich nach Berlin zu gehen, weil sie nur dort Freundinnen und Freunde finden. 


Was würdest du als Gewalt definieren?


IP:
Gewalt ist auf jeden Fall körperliche Gewalt. Also, sobald ein gewisses Potenzial an Aggressivität da ist. Schreien, körperlich. Berührung, körperliche Berührung. Würde ich dann schon als Gewalt bezeichnen. Ich meine, Beleidigungen sind meistens ziemlich versteckt, leise, das ist für mich noch keine Gewalt. Gewalt ist wirklich so körperliche Gewalt als Erstes und dann natürlich Lautstärke. 


Deine Trans*identität hat auf Arbeit niemals eine Rolle gespielt?


IP:
Sicherlich, im Outing, im Findungsprozess. Ich behaupte aber, dass Transidentität immer Schwierigkeiten im Arbeitsprozess bringt, weil man transidenten Menschen nicht das zutraut, was sie vielleicht wirklich immer noch können. Ich bin mir fast hundertprozentig sicher, dass das in meinem Job so ist. Und ich bin im Öffentlichen Dienst beschäftigt. Der Vorgesetzte denkt, "...okay ich nehme doch lieber andere Kollegen bevor es Schwierigkeiten gibt mit der Person mit der wir es zu tun haben, schick ich doch lieber jemand anders vor." Er hält diese Person lieber im Hintergrund, als im Backoffice, bevor er zugeben muss, dass es sich um einen  ganz normalen Menschen handelt.  Und das würde ich schon sagen, geht natürlich teilweise unbewusst in die Trans*phobie rein.


Ja, würde ich auch sagen. Ist ja teilweise schon fast Mobbing.


IP: Ich hab den großen Vorteil, dass ich mein Job gerne mache. Was mich schockiert, ist zum Beispiel der CSD, wenn viele Krankenkassen die Regenbogenfahne hissen könnten und wenn ich dann als Antwort bekomme, wie bei unserer Krankenkasse, es gibt ne Beflaggungsordnung von 1960 oder 1970. Aus diesem Grund wird sie keine Regenbogenfahne hissen. Da fängt für mich schon eine allgemeine Diskriminierung an. Es ist definitiv nicht im Sinne des Gleichstellungsgesetzes. Wir hatten auch im Rahmen der CSD Cottbus - Woche ein Fachforum und dort ist ja das nochmal eindeutig gesagt worden, dass das geht. Es gibt die Behörden, die Wirtschaft und uns als Menschen, wenn da irgendjemand aus der Beziehung aussteigt, ob das nun im wirtschaftlichen Bereich ist oder im Öffentlichen Bereich, bricht dieses soziale Gefüge, oder diese Sozialordnung auseinander. Da beginnt Mobbing oder Phobie. 


Du hast schon vor Deiner Transition in deinem Beruf gearbeitet. Wie kam das Coming-out bei deinen Kolleg*_*innen an?


IP: Ich denk mal, es kam gut an. Meine Chefin selbst hat mich unterstützt, weil sie eine sehr engagierte Frau ist. Ich war in einer kleinen Geschäftsstelle mit zehn "Mann". Da gab es natürlich zwei, drei ältere Kollegen und Kolleginnen, die gesagt haben, das geht gar nicht. Aber meine jüngeren Kollegen waren da ganz offen gewesen.  Also ich würde trotzdem das, was ich jetzt in dem großen Kreis, im großen Fachzentrum erlebt habe, wo ich aktuell arbeite, zumindest nicht als Trans*phobie sehen. Das habe ich nicht so empfunden. Ich habe mich selbst gefunden und die Arbeit macht mir Spaß. Ich arbeite in einem wirklich netten Kreis von Kolleginnen,, nur Frauen. Um so größer der Kreis der Kolleginnen und Kollegen, um so schwieriger wird es, glaube ich.


Du bist eine selbstbewusste Person und eigentlich glaube ich auch je selbstbewusster man ist, desto weniger Gewalt erfährt man selbst. Wenn man ein selbstbewusstes Auftreten hat, sei es auf der Straße oder auf der Arbeit, desto weniger wird man angegriffen, desto weniger kommt man in die Opferrolle. Ist das eine richtige These?


IP:
 „Nein heißt Nein“, ist denke ich eines der besten Gesetze, die in Deutschland erlassen werden wird. Es ist gut, wenn eine Frau nicht Angst haben und denken muss, hoffentlich fasst der mich nicht gleich an und sie im Nachhinein die Möglichkeit einer Anzeige hat. 


Wann hast du beschlossen dich zu outen, in deinem richtigen Ich zu leben?


IP:
Auf den Tag genau kann ich ́s dir nicht sagen, aber es war im September 2009. Eine große Rolle spielt der Tod meines Vaters, mein Vater ist verstorben und ich würde behaupten, ich hätte es nicht gemacht, so lange mein Vater noch gelebt hätte.


Aus welchem Grund?


IP:
Weiß ich nicht, vielleicht aus Angst ihn zu verlieren. Es kommt dazu, dass wir trotz vieler Probleme, die wir  in den letzten Jahren und Jahrzehnten hatten, auf jeden Fall nochmal zueinander gefunden haben. Es war, man muss es so sagen, eine „Vater-Sohn“ Beziehung. Ich hätte ihn das nicht so unbedingt antun wollen, noch einmal, sagen zu müssen, es ist eigentlich ein bisschen anders, als du das dir denkst. Als mein Papa, Ende 2007 verstorben ist, folgte ein relativ schneller Findungsprozess, jetzt oute ich mich. Erst musste ich einen Zeitpunkt, für mein Outing finden und dann hat es eigentlich noch einmal mal zwei Jahre gedauert. Und, wie gesagt, vorher ähm stands unbedingt für mich zur Debatte. Ich hab mir auch keine Gedanken darüber gemacht, ob ich mich oute.


Hast du denn in deiner Kindheit schon gemerkt, dass da irgendwas "nicht stimmt"?


IP:
Ja, aber da gabs genug Probleme. Ich bin erwischt worden, mit Frauenklamotten, also von meinem Vater. Von meinen Freundinnen wurde ich ja mit Frauenklamotten gesehen. Es gibt ja erstmal diesen Selbstfindungsprozess. Was ist man überhaupt und dann, wenn man die ganzen ja Klischees sieht, ist man transsexuell, ist man Transvestit, ist man Crossdresser, ab wann möchte man wie in welcher Rolle leben? Möchte man überhaupt in dieser Rolle leben? Wenn man angefangen hat diese Fragen überhaupt sich zu stellen ist natürlich ein Prozess begonnen. ab 2007 habe ich versucht mich zu entscheiden. Wie  mache ich es nun richtig? Wirds für mich der richtige Schritt? Ich glaube, ein Psychologe würde ziemlich gucken, wenn ich gesagt hätte, das ich den Schritt nun ganz kurzfristig gehe. Ich hab beschlossen, jetzt tue ich ́s. 


Und ich hab ja natürlich logischerweise in meinem anderen Leben, in dem falschen Leben, immer versucht diese Rolle von mir zu behaupten , dass das Richtige ist. Das ist aber nicht so.


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IP: Ich weiß es ja auch von anderen Trans*Personen, die wesentlich jünger als ich sind, dass sie immer wieder diese Beleidigungen, die wirklich ziemlich extrem sind, erfahren. Wenn ich irgendwo selbstbewusst auftrete, sagen sie sich: „Sagen wa mal lieber nichts“. Wenn jemand mir auch mit Gewalt kommen würde, würde ich gegebenenfalls mit Gewalt antworten. Aber ich hab genauso viel Angst davor. Ich habe Reizgas trotzdem in meinem Besitz.  Meistens werden sie in der Überzahl sein. Welcher von den Typen macht das, wenn er alleine ist? Keiner! Und wie gesagt, ich hab ebenfalls mein Reizgas immer dabei, aber Gott sei Dank, kam es auch noch nicht zum Einsatz. Es ist noch nichts passiert ich bin ja nun nicht mehr die Jüngste, aber ich bin trotzdem noch unterwegs. Das heißt, dass ich ab dem Dunkelwerden, nicht nur hier bei mir zu Hause sitze, sondern ich bin unterwegs und nicht nur an den beleuchteten Stellen. und da sind ja auch welche unterwegs. Wenn ich da lang radele bin ich schnell wieder vorbei und die sehen da, jemand in Anführungszeichen mit wehenden Haar, die schon wieder weg ist, da kann ich auch nicht viel passieren, weil sie nicht schnell genug ist.  Ja, Gott sei Dank ist, wie gesagt, noch nichts passiert. Die Angst ist aber da, gar keine Frage.

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